Samstag, 31. August 2013

Seudo von Martín Gambarotta

Martín Gambarotta in seiner Küche 2003. Foto: Timo Berger

"Da kannst du machen was du willst, der Sommer ist vorbei" – das Gute daran ist, die lesungslose Zeit ist vorbei. Literaturhäuser (größere und kleinere) öffnen ihre Pforten, Portale, die sich der Verbreitung von Lyrik in des Dichters Stimme widmen, werden neu aufgelegt und auch der Briefkasten füllt sich wieder mit Büchern. Gestern kam ein wunderbares Päckchen mit Büchern der Ediciones Liliputienses. Der Verleger (Dichter, Literaturkritiker und Dozent) José María Cumbreño hatte es selbst gepackt. Cumbreño kenne ich nicht persönlich noch nicht. Ich weiß nur: Er lebt in der kleinen Stadt Cáceres in der spanischen Provinz Extremadura fern ab der globalen Lyrikströme. Und gerade deshalb ist seine Unternehmung nicht nur nicht gewinnorientiert sondern auch äußerst aufregend. Im Verlagskatalog finden sich die spanischen Erstausgaben vieler zeitgenössischer lateinamerikanischer Lyriker wie Frank Baéz, Luis Chaves, Rocío Cerón, Laura Wittner, Edwin Madrid, Yanko González, Mónica de la Torre, Sergio Raimondi. Am meisten habe ich mich aber über „Seudo“ von Martín Gambarotta gefreut. Im Format etwas größer als die argentinische Originalausgabe von Ediciones VOX, dafür aber in schöner Typographie – und der zusätzliche Weißraum tut dem fragmentierte Langgedicht gut. Wie Cumbreño dazu kam dieses und die vielen anderen Gedichtbände „an der Peripherie der Peripherie“ (Selbstbeschreibung des Verlags) herauszugeben, wie er überhaupt auf die Autoren und die Texte kam, weiß ich nicht. Zu Martín Gambarotta, der auf seinem Autorenporträt die Augen zusammenkneift und mich an einen blinden Seher erinnert, fällt mir aber ein, wie ich ihn das erste Mal besucht habe. Wir saßen in der gekachelten Küche seines Apartments in Villa Crespo und tranken Mate. Keine von uns beiden sprach viel, Martin blickte oft schüchtern zur Seite. Ich hatte gerade „Seudo“ gelesen und machte ihm ein vorsichtiges Kompliment, indem ich das Format des Buches lobte, die kurzen, fragmentarischen Gedichte, die immer wieder ansetzten und Bilder, Bewegungen variierten. Und die man dennoch überall lesen könne, häppchenweise, im Bus, in der U-Bahn. Er lachte leise, sagte, ja, das hat man mir schon ein paar Mal so gesagt. Aber ich weiß nicht, seufzte er – und blickte mir dabei kurz in die Augen, als wollte er prüfen, ob ich es mit meinem Lob wirklich ernst meinte oder nur etwas nachplapperte, was ich irgendwo aufgeschnappt hatte. Ehe ich reagieren konnte, sah er schon wieder zur Seite und nahm einen weiteren Schluck Mate. Viel haben wir bei dieser Gelegenheit nicht mehr geredet. Doch das Buch zählt bis heute zu meinen Favoriten.

Gedichte aus  „Seudo“, deren Übersetzungen in „Für einen Frühlingsplan“ bei Ediciones Vox in Bahía Blanca 2011 erschienen sind*


Was du verdreckst
wirst du putzen und auch
was du umschmeißt oder in die Ecken
kippst, das hier ist kein
Zuckerschlecken, brauchst
gar nicht meckern.

Todo lo que ensuciás
lo vas a limpiar y todo
lo que vuelques o tires
en el piso, esto no es
el paraíso, te aviso.

*

Wenn man zum ersten Mal eine Grapefruit
schneidet, an einem unbekannten Ort
mit einem Messer mit runder Spitze
und kurzer Schneide, im Grunde eher geeignet
um Butter zu streichen, erscheint die Grapefruit
fremder als die Welt, die sie umgibt
derart dass – wenn man sie vor dem Teilen
zu lange aufmerksam ansieht –
sie einlädt, in Panik zu verfallen.

Cuando se corta por primera vez
un pomelo en un lugar desconocido
con un cuchillo de punta redonda
y poco filo, más apto en realidad
para untar manteca, el pomelo se vuelve
más extraño que el mundo que lo rodea
de modo que mirarlo detenidamente
por demasiado tiempo antes de partirlo
es una invitación al pánico.

*

Es ist nicht das, was ich sagen
will, es ist fast das, was ich
sagen will, es ist
das neben dem,
was ich sagen will.

No es lo que quiero
decir es casi lo que
quiero decir es
lo que está al costado
de lo que quiero decir.

Einige Bücher der Ediciones Liliputienses


Martín Gambarotta wurde 1968 in Buenos Aires, Argentinien, geboren. 1996 veröffentlichte er den Gedichtband „Punctum“ (Libros de Tierra Firme). Als weitere Gedichtbände folgten „Seudo“ (Vox, 2000), „Relapso+Angola“ (Vox, 2005), „Refrito“ (Calabaza del Diablo, 2007), „Para un plan primaveral“ (Vox, 2011).

*Es gibt noch Restexemplare.


Weiterlesen:

Verlagsseite der Ediciones Liliputienses
Martín Gambarotta auf Lyrikline (Funktioniert erst nach dem Relaunch morgen)
Martín Gambarotta bei luxbooks

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