Mittwoch, 11. November 2020

 

Für die diesjährige Latinale, die aufgrund des "Lockdown light" in Deutschland nur online stattfinden darf, habe ich Gedichte von Carlos Soto Román aus Chile übersetzt. Aus zwei Gedichtbänden, die mich auf besondere Weise ansprechen: "11" ist ein Langgedicht im Montageformat, das allein auf dokumentarischen Quellen beruht - rund um den 11. September, dem Tag des Militärputsches angeführt von Augusto Pinochet. "Antuco" ist ein zwischen Dokumentarischem und Fiktivem mäandernder Gedichtband, der auch graphematische Impulse der Konkreten Poesie umsetzt, und an eine historische Tragödie der chilenischen Armee zu Friedenszeiten gemahnt. Und ja ... eigentlich waren wir bis zuletzt mit der Bundespolizei im Gespräch, damit Carlos Soto Román dieses Jahr bei uns ist - doch das Virus schrieb Fakten. 

Ein Gedicht von ihm: 

 

Kälte ist ein Gemütszustand

Pflegte mein Vater an einem nebligen Morgen zu sagen

Während er sich die Hände rieb, in sie hineinblies

Auf der Stelle auf- und absprang

Damit hatte er vielleicht recht

Kälte ist ein subjektiver Zustand

Eine Wahrnehmung

So wie wenn wir in einem Aufzug

Den Impuls des freien Falls spüren

Aber nicht fallen

Eine Wahrnehmung

Ist fast immer eine Täuschung

Kälte ist dagegen eine Folge

Ein Ort, der unter der Norm liegt

Eine beigefügte Eigenschaft ohne Erklärung

Kälte definiert sich als Abwesenheit

 

Das Original:


El frío es un estado mental

Solía decir mi padre en las mañanas brumosas

Frotándose las manos, soplándoselas

Dando pequeños saltos sobre el mismo lugar

En esto tal vez tenía razón

El frío es una condición subjetiva

Una percepción

Como cuando estando en un ascensor

Sentimos el impulso de la caída

Pero no caemos

Una percepción

Es casi siempre un engaño

El frío en cambio es una consecuencia

Un lugar que está por debajo de lo habitual

Una propiedad adjetiva sin explicación

El frío se define como una ausencia

 

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