Für die diesjährige Latinale, die aufgrund des "Lockdown light" in Deutschland nur online stattfinden darf, habe ich Gedichte von Carlos Soto Román aus Chile übersetzt. Aus zwei Gedichtbänden, die mich auf besondere Weise ansprechen: "11" ist ein Langgedicht im Montageformat, das allein auf dokumentarischen Quellen beruht - rund um den 11. September, dem Tag des Militärputsches angeführt von Augusto Pinochet. "Antuco" ist ein zwischen Dokumentarischem und Fiktivem mäandernder Gedichtband, der auch graphematische Impulse der Konkreten Poesie umsetzt, und an eine historische Tragödie der chilenischen Armee zu Friedenszeiten gemahnt. Und ja ... eigentlich waren wir bis zuletzt mit der Bundespolizei im Gespräch, damit Carlos Soto Román dieses Jahr bei uns ist - doch das Virus schrieb Fakten.
Ein Gedicht von ihm:
Kälte ist ein Gemütszustand
Pflegte mein Vater an einem nebligen Morgen zu sagen
Während er sich die Hände rieb, in sie hineinblies
Auf der Stelle auf- und absprang
Damit hatte er vielleicht recht
Kälte ist ein subjektiver Zustand
Eine Wahrnehmung
So wie wenn wir in einem Aufzug
Den Impuls des freien Falls spüren
Aber nicht fallen
Eine Wahrnehmung
Ist fast immer eine Täuschung
Kälte ist dagegen eine Folge
Ein Ort, der unter der Norm liegt
Eine beigefügte Eigenschaft ohne Erklärung
Kälte definiert sich als Abwesenheit
Das Original:
El frío es un estado mental
Solía decir mi padre en las mañanas brumosas
Frotándose las manos, soplándoselas
Dando pequeños saltos sobre el mismo lugar
En esto tal vez tenía razón
El frío es una condición subjetiva
Una percepción
Como cuando estando en un ascensor
Sentimos el impulso de la caída
Pero no caemos
Una percepción
Es casi siempre un engaño
El frío en cambio es una consecuencia
Un lugar que está por debajo de lo habitual
Una propiedad adjetiva sin explicación
El frío se define como una ausencia
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